Vorher müsst ihr uns erschießen…

Gilt Brandenburg in Deutschland als Provinz, die nur durch die Weltstadt Berlin am Leben gehalten wird. Denkt man an Brandenburg, denkt man daran, wie sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen und Achim Menzel in den 90er Jahren bei Einweihungsfeiern von Autohäusern singt. Das spießbürgliche Leben im Schatten von Berlin. Auch bekannt als der schönere Stadtteil von Berlin, liegt die brandenburgische Landeshauptstadt Potsdam genau daneben. Tür an Tür. Bekannt durch seine Schlößer oder dem Stadtteil Babelsbergs als Hollywood der 20er Jahre mit seinem DEFA / UFA Filmstudios, ist Potsdam auch verkannt als Schickeria oder Touristenmagnet. Und einzig und allein seine Daseinsberechtigung als brandenburgische Landeshauptstadt hat, obwohl die Stadt durch die direkte Berliner Nähe und hohen Promi- und Politiker Dichte in einer völlig anderen Welt lebt und mit anderen täglichen Problemen zu kämpfen als der Rest des Landes in seiner kleinbürglich-ländlichen Form. Gerade diese doch so öffentlich und breite Wahrnehmung ließ in Ihr Ende der 80 Jahre während des Mauerfalles, über die 90er Jahre hinweg, bis rein in die 2000er, eine Schattenseite wachsen, die sich zu Deutschland größter Hausbesetzerszene entwickelte. Die verkommende und vernachlässigte alte Innenstadt mit seinem Glanz aus alten Tagen bot hierfür für die Jugendlichen und Alltagsflüchtlingen den perfekten Spielplatz. Getreu dem Motto..“Wir gestalten unser Leben selber, nach unseren Regeln und Normen, fern ab der Realität.“

Eine Utopie, die lange schien zu funktionieren und auch viel Zuspruch in der normalen Bevölkerung fand und politisch bis in die oberste Etage des Rathaus Druck ausüben konnte. Das ganze Sprach sich so dermaßen über die Landesgrenzen hinaus herum, dass es viele Leute aus anderen Hausbesetzerszenen nach Potsdam zog. Und das nicht nur aus dem nahe liegenden Berlin, sondern ganz Europa. Gerade die 80er Jahre Hausbesetzer aus Westeuropa, wo die Bewegung und Welle längst schon dem Untergang geweiht war, sahen ihre letzte Chance und Zukunft hier mitten in Brandenburg. Ein Fluch und Segen zu gleich für die Stadt. Prägt die Offenheit und alternativ neue Lebensform noch heute das Stadtbild der Stadt, waren es doch auch die Altbackenen der Hausbesetzer anderer Gegenden, die, den Fortschritt, die Unschuld und die Unbefangenheit der Szene letztendlich sterben ließen. Der neue Wind brachte an vielen Ecken eher die Sturheit und harte festgefahrene Sackgasse der Realität mit sich. Zu ihrem Höhepunkt waren in Potsdam weiter über 40 Häuser besetzt. Gar ganze Straßenzüge. Ein Sache, die heute 2019 schwer nachvollziehbar ist. Aber doch zeigt wie viel Freiheit in jenen Tagen des Mauerfalles und das komplett darauf folgenden Jahrzehnt in der Luft lag. Während viele Bürger jammert und ihren guten, gesicherten und bis ins letzte Detail fremd vorhergeplanten einstigen Tagen hinterher trauerten, nahmen andere ohne groß zu überlegen ihr Schicksal selber in die Hand. Dachten nicht an gestern oder morgen und machten aus der Gegenwart das beste daraus. Oder wie der Alchemist sagen würde…“verwandelten Scheiße zu Gold“. Das Gefühl, die Stimmung und die Sicht von einst aus dem heutigen Standpunkt, ist für die Nachwelt in dem Buch „Vorher müsst ihr uns erschießen.“ eingefangen worden und dient als Sprachrohr der Bewegung.

Von Göran Gnaudschun und Kay Meseberg, HIER direkt in unserem Mailorder erhältlich.

 

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