NETWORK OF FRIENDS: ZWEITE RUNDE, ZWEITES GLÜCK!

Das NETWORK OF FRIENDS Buch geht in die zweite Runde: Dicker denn je und von einer opulenten Vinyl-Compilation flankiert. In den Köpfen existiert das NETWORK OF FRIENDS (benannt nach einem Song von HERESY) schon eine gefühlte Ewigkeit, als Lebens-Motto, und verbindender Kitt zwischen den geographischen Hardcore-Szenen Deutschlands, Europas und der Restwelt.

In der Label-Branche meldete man sich erstmals 2003 mit „Hangover Heartattack – A Tribute To Poison Idea“, einem, in der Bauphase Nerven-und Energien-verschlingendes, Mammut-Werk zu Ehren der Walrösser aus Portland. Weitere Titel folgten: Die „Nuclear accidents“ 7“ von GERIATRIC UNIT, „Intro dreadnought fever“ von VLADIMIR HARKONNEN etc. Anfangs noch in Co-Operation bzw. Windschatten von FAREWELL, PLASTIC BOMB Records und anderen Gleichgesinnten.

Der Chef vons Janze, sozusagen der CEO of NOF, war und ist Helge Schreiber aus Oberhausen, als „Hardcore-Helge“ eine Institution der Ruhrpott-Szene, welcher mit seinem HÖLLENQUAL Zine sowie unzähligen Tape-Sampler seit den 80ern für medialen Wirbel sorgte (Obiges Bild zeigt ihn kurz vor seinem Überfall auf den RATHAUS GRILL).

„Hauptkampflinie“, „Disorder“, „Who’ll survive“: Diese Tape-Sampler bildeten auch den Fundus der 1997 auf dem portugiesischen ATAQUE SONORO Label erschienen NETWORK OF FRIENDS CD (2007 dann endlich auch als Doppel-LP) mit „Lauter-härter-schneller“-Teufelskerlen wie MOB 47, BGK, ADRENALIN O.D., NIKOTEENS, SIEGE etc.

Schepper, ratter, peng, peng! Wüstes Geballer von Anno dazumal aka Helges Favorite Tunes, absolute Herzensangelegenheit im Hause Schreiber. Komm ma lauter bei mich bei…

1998 gab es Nachschlag, diesmal schlauerweise sofort Vinyl-only, „Network Of Friends Vol. 2“ randalierte im bekannten Segment:  BANNLYST, ZYKLOME A, INDIGESTI, RIPCORD. Fast as fuck Überschall-Gebolze vom Allerfeinsten.

Auf den Ton folgte das Wort: 2011 kompilierte Helge das NETWORK OF FRIENDS Buch, ließ Zeitgenossen und alte Buddies über gemeinsame Erlebnisse in Hardcorehausen of the 80’s zu Wort kommen, erinnerte sich selbst ausführlich und schuf damit einen überaus interessanten Einblick in das Gestern der westdeutsch/europäischen Hardcore-Szene. Gnadenlose Lektüre-Empfehlung von RUDI’S RASANTER LESESTUBE!

Collector take note: Im Anhang verfaßte Ingo vom BOLZEN-Fanzine eine amtliche Euro-Discography aller relevanten Releases, damit auch die Nerds und Stampies nicht zu kurz kommen. Aber Vorsicht: Erst lesen, dann weinen. Auf die Lektüre folgt oft die Träne.

COVID-19 und einer heftigen Erkrankung sei „Dank“: 2020 erscheint nun die massiv überarbeitete Zweitauflage von NETWORK OF FRIENDS, Helge hat wieder Vollgas gegeben, erstmals wird das Buch parallel von einer Vinyl-Compilation begleitet. Selbige ist „Lärmattacke“ betitelt und hält, was sie verspricht. LAUT, RASANT, ZERSTÖRERISCH!

Ü 50 Punk-Dinos könnte der Name „Lärmattacke“ vielleicht noch etwas sagen, Anfang der 80er gab es eine gleichnamige Tape-Reihe.

Klang damals so:

 

Federführend damals: Henning Prochnow (ex-SCAPEGOATS, TINY GIANTS), welcher Helge bei der Sampler-Gestaltung und Songauswahl formidabel assistierte.

Jetzt also „Lärmattacke 2.0“, auffrisiert und für die Neuzeit kompatibel gemacht. Die üblichen Verdächtigen (CRUDE SS, LÄRM, MOB 47 etc.) waren wieder zur Stelle, als Quelle dienten erneut alte Demo-Tapes (unveröffentlichte Perlen!), bedauerlicherweise blieb „Disco Hure“ von den SCAPEGOATS aus Klausdorf unberücksichtigt.

Dafür ist aber Helge selbst mit seiner damaligen Combo FILTHY FEW vertreten, darf den „Cry of Nature“ ins Mikro röhren. Interessante Randnotiz: Der Song selbst stammt von der FILTHY FEW/ THE WHEEZE Split LP, hatte also als einziger Vetreter bereits Vinyl-Luft geatmet.

Wenn auch de facto unveröffentlichte: Da der DISSONANCE Label-Betreiber wohl heftig im BTM-Sektor expandierte (Nähkästchen-Plauderei), blieb die bereits gepresste Auflage (900 Stück) unvertrieben in seinem Keller.

Lediglich die 100 Beleg-Exemplare für die beteiligten Musiker zirkulierten unter selbigen, einige fanden sogar den Weg zu DISCOGS.

Wir greifen kurz zum Rechen und jäten das Tracklisting-Dickicht etwas durch:

HERESY, SO MUCH HATE, HEIMATLOS, CRUDE SS (zwei Songs, welche für die geplante 7“ aufgenommen wurden), HEIMATLOS, SVART FRAMTID, LÄRM, EXTREM, BEDRÖVLERZ, CAPITAL SCUM, INDIGESTI, BANNLYST, SOS, UNWANTED YOUTH, TU-DO HOSPITAL und INDIREKT sind mit komplett unveröffentlichtem Material am Start.

RATTUS, RAW POWER und MOB 47 sind mit ihren Songs erstmals auf Vinyl, gab es zuvor nur digital.

Insgesamt eine Wahnsinns-Ausbeute, für jeden Euro HC-Lover das Bernsteinzimmer an lost Nuggets, ein verlorener Schatz, den lockeren Zähnen des fossilen Magnetband-Monsters entrissen.

Schrumpfkopf-Faktor: Es hätte übrigens ganz locker ein hochkarätig bestücktes Dreifach-Album werden können, unveröffentlichtes Material (in Hammer-Soundqualität) von DISCHARGE (live Finnland 1983!), den UPRIGHT CITIZENS, EXTREM, UNWANTED YOUTH etc. musste aus Platzgründen unberücksichtigt bleiben, da kann man nur auf Nachschlag hoffen.

PS: Auf Teil 2 der „Lärmattacke“ kommt dann vielleicht auch „Disco Hure“ zum Einsatz…

Klaus-Peter „Chuck“ Bukowski meint zu Buch und Vinyl: „Beste Droge gegen Herbst-Trübsal!“

NETWORK OF FRIENDS Buch + Sampler gibt es HIER 

Und weil es schön ist, gibt es gleich noch ein weiteres Review. Doppelt liest sich schließlich besser und verdient ist nun mal verdient. Nach den Fakten kommt jetzt also die Emotion: Thomas Lockenkopf mit seinen Gedanken zum NOF-Sampler.

„Meistens schätzt der Mensch erst etwas wenn es schon lange weg ist und nicht mehr für selbstverständlich täglich zur Verfügung steht. Geht es uns heute in Tagen der Corona Pandemie genauso, wo unser komplettes kulturelles Leben völlig brach liegt. Hätten wir vielleicht letztes Jahr den Arsch hochbekommen sollen und wären auch zu den kleinen Shows gegangen und nicht nur in die Mercedes Benz Arena oder Waldbühne!? Was würden wir alle gerade für ein kleines ausschweifendes Konzert mit Stage Diving, Pogo und spritzenden Bier geben???

Waren es doch Anfang der 80er die erste Generation der Punks, die ein alternatives Netzwerk für UNS erschuffen, was parallel zur Musikindustrie funktionierte… mit eigenen Bands, Labels, Zeitschriften, Clubs und Touren. Dieses Netzwerk funktioniert auch heute noch super parallel zur Konsumgesellschaft und Musikindustrie. Doch war es damals irgendwie anders. Man kam nicht so leicht rein in den Untergrund und war man erstmal drin, verliebte man sich so sehr darin, das einem diese alternative Szene ein lebenlang weiter begleitete. Heute ist alles so einfach und leider auch zu schnelllebig. Anecken tut man er selten noch und das neuste Halstattoo haut niemanden mehr vom Hocker. Man ist damit nicht mehr der Außenseiter fürs Leben.

Als ich dieses Buch „Network of Friends“ von Helge Schreiber las, entfachte es aber wieder dieses Feuer in mir aus längst vergangener Zeit. Ankommen in einer Zeit, wo Aufbrauchstimmung statt Untergangstimmung herrschte. Wo Hunger und Sehnsucht noch die Leute nährte, statt Resignation und Übersättigung. Es kamen die alten und persönlichen Geschichten, und auch eigenen Beweggründe in einem hoch, warum man überhaupt diesen Weg für sich selber wählte und dieses sogenannte Feuer in einem nie mehr erlosch. Ein absolutes muss, es zu lesen! Für jeden Punk, Skin, HCler oder Metaller der diesseits der 90er geboren wurden, eine absolute Erleuchtung. Jeder alte Hase der jenseits der 90er geboren wurde, wird sich in diesem Buch in seiner Jugend wieder entdecken, oder gar den ein oder anderen Freund von damals sowie heute wieder finden. Das besagte Konzert wiederlesen oder manch berüchtigte Bühne oder besetztes Haus wieder entdecken. Über 400 Seiten packende Geschichten von Leuten, die etwas zu sagen haben, in der überarbeiteten 2.Auflage im Eigenvertrieb frisch erschienen. Erhältlich in wenigen Tagen bei dem Plattendealer deines Vertrauens. Das ist der passende „lese Soundtrack“ zum Lockdown 2.0 Light 2020.

Auszug aus dem Buch von Andreas Grüter / Müllheim:

„Besetzte Häuser und AZs waren für mich definitiv das Rückrat der Szene, und vor allem der KASSENBERG und das ESCHHAUS haben mich ziemlich nachhaltig geprägt. Es gab keine Punk-Infrastruktur wie heute, und in den Gemeindesälen und Jugendzentren spielen eh nur Rock- und Metal-Bands. Und ganz ehrlich – was sollte auch eine anarchistische Punkband in einem christlich oder städtisch geführten Haus? Maximal alles aufmischen und dann abhauen und nicht allen Ernstes mit dem Feind ins Bett springen. Man musste, um etwas auf die Kette zu bekommen, alles in die eigenen Hände nehmen, das hieß zum Beispiel auch, Holz für eine Bühne oder eine Skateboardrampe in dem KASSENBERG zu schleppen oder Bandmitglieder vom Bahnhof abzuholen. Zudem bin ich dort auf jeden Fall auch sehr politisiert worden. Was für mich anfangs vor allem einfach ein Freiraum war, um Dinge selbst zu machen, war für Bullen etc. scheinbar eine echte Bedrohung. Ich hatte das vorher immer nur rudimentär wahr- und nicht so richtig ernstgenommen, aber mit verkleideten Zivis im Publikum, die immer recht schnell auffielen, umfangreichen Ausweiskontrollen und Fotoaktionen rund um AZs und besetzen Häuser sowie mit gestürmten Konzerten inklusive Tränengaseinsatz wurde mir schon recht schnell bewusst, dass es da eine ganz andere und vor allem verdammt hässliche Seite des Rechtsstaats gab.
Das wusste ich natürlich theoretisch vorher schon aber es ist halt doch immer noch was anderes, wenn man das am eigenen Leib erfährt. Reality Check halt.“

 

 

 

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